Morgens ein Blutdrucksenker, mittags ein Mittel gegen Magenbeschwerden, abends eine Schlaftablette - bei vielen Menschen steigt mit dem Alter auch der Arzneimittelverbrauch. Doch was als Einzelpräparat hilft, wird in der Kombination oft zur Gefahr: Zahlreiche Medikamente enthalten Wirkstoffe, die sich gegenseitig beeinflussen. Die geplante elektronische Gesundheitskarte soll diese Wechselwirkungen aufdecken. Doch auch schon jetzt können Patienten und Ärzte durch genaues Hinsehen Risiken ausschließen.

«Einige dieser Interaktionen sind so ausgeprägt, dass sie zum Tode führen können», sagt Prof. Ralf Stahlmann von der Charité in Berlin. Genaue Zahlen gibt es nicht - die Schätzungen reichen von 10 000 bis 58 000 Todesfällen in Deutschland jährlich. Andere Wechselwirkungen rufen Unwohlsein hervor oder verstärken bestimmte Symptome, wieder andere sind völlig harmlos. „Etwa jede 300. Verabreichung einer Kombination führt zu einem Problem”, sagt Prof. Walter Haefeli, Pharmakologe am Universitätsklinikum Heidelberg.

Längst haben auch Ärzte und Wissenschaftler die Übersicht über alle Wechselwirkungen verloren. „Bekommt ein Patient bei uns im Klinikum 10 Medikamente verabreicht, entstehen 45 Medikamentenpaare”, erläutert Haefeli. Hinzu komme, dass jede Änderung der Dosis die Wechselwirkung verändere. Um alle möglichen Fälle zu erfassen, seien riesige Datenbanken nötig - eine Aufgabe, deren Bewältigung erst am Anfang stehe. «Deutschland ist da nicht gerade führend», kritisiert der Experte. Dennoch sei das Bewusstsein gewachsen: Pharmakologen hielten Medikationsfehler derzeit für eines der größten Probleme überhaupt.

Auch die bereits bekannten Wechselwirkungen müssen sich die Patienten immer wieder ins Gedächtnis rufen, mahnen die Experten. Problematisch sei beispielsweise die gleichzeitige Einnahme von bestimmten Herz- und Abführmitteln, erläutert Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) in Berlin.

So würden bei Herzschwäche oft Digitalis-Präparate eingenommen. Diese so genannten Herzglykoside setzen dort an, wo eigentlich das Kalium hingehört. Für eine kontrollierte Wirkung sei ein gleichbleibender Kalium-Haushalt nötig. „Einige Abführmittel können aber zu Kaliumverlusten führen”, so die Expertin. Die Folge: Die Wirkung der Digitalis wird unberechenbar verstärkt.

Besonders häufig treten Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bei «Antimykotika» zur Bekämpfung von Pilzerkrankungen auf, erläutert Prof. Stahlmann. Auch Antidepressiva sowie Antibiotika reagieren vergleichsweise schnell mit anderen Arzneimitteln. Vor allem Frauen sollten aufpassen, wenn sie ein Antibiotikum einnehmen: Laut Ursula Sellerberg verträgt sich nicht jedes Mittel mit der Antibabypille - eine ungewollte Schwangerschaft kann die Folge sein.

Auch frei verkäufliche Medikamente bergen Risiken. So sollte Aspirin nicht mit blutgerinnungshemmenden Medikamenten wie Marcumar eingenommen werden: „Es kann zu gefährlichen inneren Blutungen kommen”, warnt Apotheken-Sprecherin Sellerberg. Der Schmerzwirkstoff Paracetamol kann zusammen mit Arzneimitteln gegen Epilepsie, Glaukome oder Tuberkulose schwere Leberschäden verursachen. Kalzium-Tabletten heben die Wirkung bestimmter Mittel gegen Osteoporose auf. „Darum sollte man solche Mittel auch nicht zusammen mit kalziumhaltigem Mineralwasser trinken.”

Die scheinbar so harmlosen Johanniskraut-Extrakte gegen Schlaflosigkeit und Antriebsschwäche haben es ebenfalls in sich. „Eine schreckliche Substanz”, klagt Prof. Haefeli. Sie setze die Aufnahme anderer Arzneimittel herab, etwa von Gerinnungshemmern und Mitteln gegen Epilepsie. „Sie brauchen dann zum Teil die zehnfache Dosis”, so der Pharmakologe. Auch sei es schon vorgekommen, dass Organtransplantationen am Johanniskraut scheiterten: Der Wirkstoff hatte Medikamente entschärft, die eine Abstoßung verhindern sollten.

Doch nicht nur Arzneimittel untereinander beeinflussen sich - auch Lebensmittel beeinträchtigen bisweilen die Wirkung von Medikamenten, erläutert Ursula Sellerberg. Milch und bestimmte Antibiotika sollten nicht zusammen eingenommen werden, da die Wirkung sonst herabgesetzt wird. Schwarzer Tee hemmt die Aufnahme bestimmter Psychopharmaka. Vorsicht ist laut Sellerberg bei Pampelmusen geboten: „Daran denkt man ja gar nicht.” Die Inhaltsstoffe der gelben Frucht verstärken Blutdruck- und Cholesterinsenker, Schlafmittel und Medikamente gegen Aids.

Um Risiken auszuschließen, ist ein Blick in den Beipackzettel ratsam, rät Prof. Stahlberg von der Charité. Er räumt allerdings ein: „An 90 Prozent der Patienten gehen die Informationen vermutlich vorbei” - für viele seien sie schlicht zu kompliziert. Laut einer Studie von Haefeli enthält ohnehin jeder sechste Beipackzettel nur unzureichende Informationen.

Und auch wenn Ärzte oder Apotheker nicht sämtliche Wechsel- und Nebenwirkungen kennen, sollten sie dennoch gefragt werden. Dazu müssen Patienten allerdings alle Karten auf den Tisch legen. „Wie soll der Arzt etwas berücksichtigen, das er nicht weiß?”, fragt Prof. Haefeli. So habe sich bei Untersuchungen in der Uniklinik Heidelberg gezeigt, dass jeder fünfte Patient Rückstände fremder Arzneimittel im Urin hatte, vor allem von Schmerz- und Schlafmitteln. „Und eine einzige Substanz bedeutet schließlich eine Verdoppelung der Wechselwirkungen.”
Quelle aponet.de

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