Ursachen des Extremitätentraumas:

Frakturen:

Durch direkte oder indirekte Krafteinwirkung mit Überschreitung der elastizitätsgrenze entsteht ein Knochenbruch. Man unterscheidet traumatische Frakturen durch direkte oder indirekte Krafteinwirkung und pathologische Frakturen als spontane Frakturen ohne Gewalteinwirkung bei krankhaft veränderten Knochen, z.B. durch Knochentumoren, Metastasen oder Osteoporose.
Geschlossene Frakturen: ohne Verletzung der darüber liegenden Haut. Offenen Frakturen: mit Verbindung zwischen Faktur und der Außenwelt, wodurch Bakterien von außen in Wunde und Knochen eindringen können.
  • I. Grad Fragmentperforation (Durchspiesung) von innen nach außen ohne große Weichtelbeschädigung.
  • II. Grad penetrierende (durchdringende) Verletzung von außen nach innen ohne erhebliche Weichteilschädigung
  • III. Grad ausgedehnte Eröffnung der Fraktur mit ausgeprägter Weichteilschädigung durch kombinierte Gefäß-, Muskel- und Nervenschädigung
  • IV. Grad Frakturen, bei denen Muskel-, Nerven-, und Gefäßversorgungen zum distalen Teil komplett unterbrochen sind und die Weichteilverletzung so groß ist, dass sie nur noch aus Hautbrücken besteht (auch subtotale Amputation)

Luxationen:

Gelenkverletzung mit Unterbrechung der Gelenk bildenden Flächen. Unterschieden werden:
  • Komplette Luxation: komplette Lösung der Gelenk bildenden Flächen, häufig mit Zerreißung des Bandapparates und der Gelenkkapsel
  • Subluxation (inkomplette Verrenkung): Kontakt der Gelenkflächen bleibt erhalten, typisch z.B. an der Wirbelsäule
  • Habituelle Luxation: wiederkehrende Luxation im gleichen Gelenk ohne schwerwiegende Traumen. Ursächlich meist angeborene Dysplasien oder verletzungsbedingte Beeinträchtigung der Gelenkanatomie.
  • Luxationsfraktur: gleichzeitige Verrenkung und Fraktur an einem Gelenk, häufig z.B. am Sprunggelenk.

Klinik:

Durch Frakturen und Luxationen entstehen verschiedene Störungen und Schädigungen, u.a.
  • Schädigung des Weichteilmantels durch Anspießung
  • Nervenschädigung, durch Nervenzerreißungen oder –Einklemmungen
  • Organverletzungen durch Penetration von Knochen, z.B. Spannungspneumothorax bei Rippenfrakturen
  • Durchblutungsstörung mit Folge eines Kompartimentsyndroms: Symptomatik bei Knochenbrüchen und Sehnenscheidenentzündungen durch Ödeme im betroffenen Bereich. Durch Anstieg des Gewebedrucks Störung der Durchblutung der Muskulatur, bis hin zur Muskelnekrose, sowie Kompression der durch das Kompartiment verlaufenden Nerven und Gefäße. Um schwere Schädigungen zu verhindern, wird eine Druckentlastung durch Faszienspaltung erforderlich
  • Starke Schmerzen
  • Hämorrhagischer Schock, durch Blutung im Frakturbereich

Symptome bei einem Extremitätentrauma:

  • Schmerzen, Bewegungs- und Gefühlsstörungen, Unfallmechanismus
  • Schwellung, Prellmarken
  • Wunde, Blutung, Knochensplitter sichtbar/tastbar
  • Abnorme Lage und/oder Beweglichkeit
  • evtl. Knochenreibegeräusch (nicht testen)
  • evtl. Störung der Durchblutung oder Sensibilität unterhalb der Frakturstelle
  • evtl. fehlende Belastbarkeit der Extremität
  • evtl. blasse, kalte Extremitäten
  • Puls tachykard, evtl. Schocksymptomatik
  • Schenkelhalsfraktur; Druckschmerz in der Hüfte, Stauchungsschmerz, Bein nach außen gedreht und verkürzt

Maßnahmen bei einem Extremitätentrauma:

Druckverband bei stärkerer Blutung, offene Frakturen immer steril abdecken und verbinden. Auf einen breiten Pflasterstreifen „offenen Fraktur” schreiben und quer über den Verband kleben, damit niemand versehentlich den Verband vor der operativen Versorgung öffnet.

Lagerung:

Ansprechbare Patienten liege meist, wie sie es am besten tolerieren. Bei einer Schocksymptomatik sollte, wenn es das Verletzungsmuster zulässt, zur Erhöhung des Volumenangebots eine Schocklagerung erfolgen. Diese Lagerung verbietet sich z.B. bei begleitenden Wirbelsäulentraumen oder Beckenfrakturen.

O2-Gabe 4-8l/Min über eine Nasenbrille, zur Vermeidung von Hypoxämien und Optimierung der Oxygenation.

Notarzt-Ruf bei Frakturen der großen Röhrenknochen (z.B. Oberschenkel), offenen Frakturen, Luxationen großer Gelenke, starken Schmerzen, da hier eine vitale Gefährdung droht.

Wärmeerhaltung:

Wärmeerhaltung, da Abnahme der Hautdurchblutung um Rahmen einer Zentralisation. Gegenregulation des Körpers – Kältezittern mit erhöhtem Stoffwechsel und Sauerstoffverbrauch – wirkt Schockverstärkend.

Monitoring:

RR, Hf, EKG, SaO2, zur kontinuierlichen Überwachung der Oxygenierung und Vermeidung von Hypotonien.

Venösen Zugang legen:

  • Ohne Schocksymptomatik: 1 großlumiger Zugang
  • Mit Schocksymptomatik: 2 großlumige Zugänge am Unterarm, um gezielt auf Hypotonien reagieren zu können.

Laborblutentnahme:

Zur frühzeitigen Bestimmung von Hämoglobin, Hämatokrit, Blutgruppe.

Volumengabe:

kristalloide Lösungen i.v. Frühzeitig mit der Volumentherapie beginne, da anfänglich auch größere Blutverluste, z.B. durch Erhöhung des Herzzeitvolumens, kompensiert werden. Blutdruckwerte zwischen 80-110 mmHg syst. sind anzustreben.
  • Mit Schocksymptomatik: 20-40 ml/kg (bzw. nach syst. Blutdruck) als Druckinfusion
  • Ohne Schocksymptomatik: Initial 1 l zügig infundieren
Wiederholende Kontrolle von Durchblutung, Motorik und Sensibilität

Spezielle Fraktur- oder Luxationsversorgung

Retention nach Reposition -> Ruhigstellung nach achsengerechter Einstellung.

Indikation

Luxationen der kleinen Gelenke mit drohender Durchspießung, mit oder ohne Anästhesie. Alle Arten von dislozierten Frakturen, außer im Bereich von Wirbelsäule, Becken oder Kopf. Auch offene Frakturen werden grundsätzlich reponiert, da Durchblutungsstörungen und Drucknekrosen im luxierten Zustand die Entwicklung eines Infekts i.d.R. eher fördern als eine mögliche Einschleppung von Keimen bei der Retraktion durchspießender Knochenareale Keine Reposition großer Gelenke, wie der Schulter, ohne röntgenologische Darstellung, da hiervon u.a. die Repositionstechnik abhängig gemacht werden muss, z.B. ist die Schulter nach vorn oder hinten luxiert.
Störungen von Durchblutung, Motorik und Sensibilität erfordern eine unverzügliche Reposition.

Beispiele für Repositionen:

  • Kieferluxation: einseitige Verrenkung im Kiefergelenk, z.B. durch Trauma (Ohrfeige) oder extreme Mundöffnung. Die Schiefstellung wird durch gleichmäßigen Daumendruck auf die Unterkieferzahnreihe reponiert. Sedierung oder Analgesie selten erforderlich.
  • Patellaluxation: Patella luxiert immer nach außen aus dem Gelenk, gut erkennbar an der seitlich abstehenden Patella, die leicht zu tasten ist genau wie das leere Gelenk. Die Reposition erfolgt, in dem man mit 2-3 Fingern der einen Hand seitlich unter die Patella fasst und sie vom Bein abzieht, wobei die andere Hand gleichzeitig das Bein im Knie streckt.
Niemals Gewalt bei der Reposition anwenden und keine frustranen mehrfachen Repositionsversuche, die nur zu einem Vertrauensverlußt des Patienten führen. Meist liegt tatsächlich ein mechanisches Repositionshindernis vor, das sich erst unter Durchleuchtungs- bwz. OP-Bedingungen beseitigen lässt.

Lagerung:

Nach achsgerechter Ausrichtung der Fraktur oder Luxation, angepasste Lagerung oder Retention der Gelenke schaffen. Anforderungen an diese Lagerung sind:
  • Ruhigstellen zur Verminderung weiterer Schmerzen, z.B. durch Krepitation Vermeiden weiterer Weichteilschäden.
  • Verhindern weiterer Sekundärschäden, wie Gefäß- oder Nervenschäden
  • Aufrechterhalten der Extension, wenn nötig.

Versorgungsstrategie bei Amputationsverletzungen

Amputationsverletzungen können aufgrund der Blutung immer lebensbedrohlich sein oder werden. Trotz der kurzen Ischämiezeiten des Amputats für eine evtl. Replantation ist bei der Rettung Vorsicht geboten, um eine subtotale Amputation (auch kleine Hautbrücken sind teilweise in der Lage, eine minimale Durchblutung zu gewährleisten) nicht durch die Unachtsamkeit in eine totale zu überführen. Grundsätzlich gilt jedoch: Leben geht vor der Erhaltung einer funktionsfähigen Gliedmaße.
Bei der Blutstillung möglichst mit digitaler Kompression und Druckverbänden arbeiten. Die Verwendung von Klemmen oder das Anlegen von Abbinden sollte aufgrund drohender Ausweitung von Ischämien unterbleiben. Das Amputat wird kühl und trocken gelagert (Replantatbeutelsystem). Hierbei das Amputat mit einem Verbandtuch bedeckt in den inneren Beutel legen und diesen verschließen. Der äußere Beutel wird mit kaltem Wasser und, wenn vorhanden, zusätzlich mit Eis gefüllt und dann ebenfalls verschlossen. Durch diese Maßnahme wird die tolerable Ischämiezeit fast verdoppelt.

Kein direkter Kontakt des Amputates mit Eis, da Gefahr der Erfrierung/Gewebsschädigung

Erweiterte Maßnahmen

Volumentherapie:

Mit kolloidalen Lösungen zusätzlich zu den kristalloiden Lösungen im Verhältnis 1 : 2. Kolloidale Lösungen haben stärkere Volumeneffekte und längere Verweildauer als Kristalloide.

Analgesie:

Den Schmerz als „diagnostisches Hilfsmittel” für die Klinik zu erhalten gilt als obsolet. Eine Adäquate Analgesie gehärt unverzichtbar zur Behandlung von Trauma-Patienten. Schmerzen bedeuten vitale Bedrohung und werden als elementares Angsterlebnis empfunden. Dieses führt zur Simulation des sympathoadrenergen Systems mit Katecholaminausschüttung, was zur Verschlechterung und sogar zur Gefährdung des Patienten führen kann.

Reposition erforderlich: Ketamin S: 0,5-1mg/kg und Midazolam 2,5-5mg. Ketamin ist ein Kurznarkotikum mit sehr guten analgetischen Eigenschaften und dosisabhängiger hypnotischer Wirkung.

Keine Reposition erforderlich: Fentanyl 0,1-0,2mg evtl. Midazolam 2-5mg, das neben seiner sedierenden Eigenschaft auch für eine Muskelentspannung sorgt
Quellen:
Algorithmen im Rettungsdienst
Taschenatlas Rettungsdienst
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