Vogelgrippe: Überbewertung der Pandemie-Potentials

Seit dem ersten Auftreten des Vogelgrippevirus H5N1 in Hongkong 1997 bestehen Befürchtungen, dass dieses Virus der Vorbote einer neuen Influenz-Pandemie sein könnte. Tatsächlich erwies sich dieses Virus durchaus als humanpathogen. Seit 2003 wurden mindestens 232 humane Infektionen, überwiegend in Südostasien, registriert, von denen 134 tödlich verliefen. In Anbetracht der hohen Bevölkerungsdichte in den von H5N1-Virus betroffenen Gebieten, ist die Inzidenz der humanen Infektionen äußerst gering. Die potentizielle Bedrohung durch H5N1 ist somit bisher als sehr gering anzusehen.

Die von der WHO befürchteten Szenarien gehen entweder davon aus, dass H5N1 durch genetische Rekombinationsvorgänge für den Menschen empfänglicher wird oder das Virus durch einen Genaustausch mit anderen humanen Influenzaviren zu einem „Super Bug” mutiert. Aufgrund fehlender Immunität in der Population gegen diesen „Super Bug” könnte eine Pandemie mit verheerenden Konsequenzen ausgelöst werden. Ob es jedoch durch diesen „Super Bug” tatsächlich zu einer für den Menschen gefährlichen Erkrankung kommt, ist nicht bekannt.

In einer jetzt publizierten Studie der Centers for Disease Control and Prevention wurden die bisher theoretischen Überlegungen in einer tierexperimentellen Untersuchung evaluiert. Dazu wurde ein synthetisches Hybridvirus aus Influenzavirus H5N1 und H3N2 hergestellt. Für die Versuche wurde der aviäre Influenzavirus H5N1-Stamm aus dem Jahr 1997 verwendet. Influenza H3N2 wurde deswegen gewählt, weil dieses Virus seit mehreren Dekaden in der humanen Population zirkuliert.

Als Infektionsmodell dienten Frettchen, die für humane Influenzavirus als eine adäquates Tiermodell dienen. Das Hybridvirus verursachte bei den Frettchen lediglich eine harmlose Infektion; eine Übertragung von Tier zu Tier erfolgte nicht. Auch durch mehrere Passagen in den Tieren gewann der Erreger weder an infektiösen noch pathogenen Eigenschaften. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden in den renommierten Proceedings of the National Academy of Science (USA) am 31.07.2006 veröffentlicht.

Wenngleich die Ergebnisse dieser Studie nicht überwertet werden dürfen, so machen sie deutlich, dass entgegen allen Vorhersagen aus dem aviären Influenzavirus H5N1 nicht zwangsläufig eine Pandemie resultieren muss. Es kann durchaus möglich sein, dass Influenzavirus H5N1 zu einem harmlosen "Schnupfenvirus" mutiert. Wenn dies der Fall sein sollte und die ersten experimentellen Untersuchungen lassen dies durchaus für realistisch erachten, so wären die bisherigen Pandemievorbereitungen unter seuchenhygienischen Überlegungen lediglich eine interessantes, jedoch äußerst kostspieliges Planspiel gewesen.

Nach dem Sommerloch wird im Herbst das Thema „Vogelgrippe” sicher wieder aktuell werden. Auch ist die Entwicklung von Influenzavirus H5N1-Impfstoffen bei mehreren Impfstoffherstellern bereits weit gediehen. Die Frage bleibt, ob und ggf. wann Influenzavirus H5N1 der Sprung vom Vogel zum Mensch gelingt (Prof. Dr. med. Tino F. Schwarz, Gelbfieber-Impfstelle, Facharzt für Labormedizin, Medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Würzburg; Redaktion medizin.de).
Quelle medizin.de

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